Alberto Manguel
Ein geträumtes Leben
„Das ist doch der Mann, der vor allem Bücher über andere Bücher schreibt“, meinte der Buchhändler, als ich ihn nach Büchern von Alberto Manguel frage. Im Mai 2020 hätte ich den vielgereisten Meisterleser in Zürich treffen sollen, um die Interviews für diesen Band zu führen. Doch dann kam Corona. Statt in Zürich trafen wir uns für unsere Gespräche immer wieder eine Stunde am Bildschirm, von April bis Dezember 2020.
Ein Glücksfall, und zwar nicht nur deshalb, weil dieses gemächliche Tempo unserer Unterhaltung entsprach, sondern auch, weil sich Alberto Manguels Leben in diesem ersten Corona-Jahr gleich mehrfach änderte: Zuerst zog er von New York nach Montreal, im September dann nach Lissabon, wo seine legendäre Bibliothek ein neues Zuhause findet in dem „Center for Research Into the History of Reading“.
Ob unsere Gespräche anders verlaufen wären, wenn wir uns an einem Tisch gegenüber gesessen hätten? Wer weiß. Wir sprechen nicht nur über das Lesen und das das Schreiben, sondern auch über Alberto Manguels außergewöhnliche Familiengeschichte, über seinen Schlaganfall, der ihm die Gelegenheit bot, sich selbst beim Sprechen zuzuschauen, und über die Folgen der Säuberung historischer Texte von rassistischen Worten: „Es kann gut sein, dass wir mit einer Gegenwart enden, in der es Rassismus gibt, ohne dass wir wissen, warum.“