«Man kann mit Worten alles sagen. Wenn man kann.»

Schreiben lernen

Schreiben bedeutet sprachliches Handwerk und Kommunikation. Jeder Mensch kann schreiben lernen. Denn das Wissen um das sprachliche Handwerk tragen wir bereits in uns, und wie man beim Schreiben kommuniziert, lernt man intuitiv durch das Feedback der Leserinnen und Leser.

Darüber, ob sich das Schreiben lernen lässt, wird gestritten, seit es Creative Writing Kurse gibt. Gerade in Deutschland hält sich der Mythos vom Genie: Entweder bin ich Schriftstellerin oder ich bin es nicht, entweder die Muse küsst mich oder sie lässt mich links liegen. Das Genie erkennt man daran, dass es erst im Schaffensrausch wirklich zu sich kommt, in den fieberhaft durchschriebenen Nächten, der Trunksucht oder gar dem Wahn. „Das psychopathische Element ist ein unentbehrlicher Teilfaktor in dem psychologischen Gesamtkomplex“, heißt es bei Gottfried Benn.

Schreiben lernen, heißt – schreiben!

Die Idee, dass man schreiben lernen könne, ist vom Genie-Mythos denkbar weit entfernt. Schreiben lernen bedeutet Probleme erkennen, Sprachbewusstsein entwickeln, und das gewonnene Wissen im Schreibtraining in die eigene Praxis zu integrieren. Mit schöpferischer Ekstase scheint das erst einmal eher wenig zu tun zu haben.

Franz Kafka hat die Erzählung Das Urteil bekanntlich in einer einzigen Nacht geschrieben: „die Geschichte ist wie eine regelrechte Geburt mit Schmutz und Schleim bedeckt aus mir herausgekommen“, schreibt er im Tagebuch. Doch das ist die große Ausnahme. Der Normalfall ist weniger aufregend. Schreiben lernen geht nicht ohne Schreiben üben, und Üben besteht in der regelmäßigen Wiederholung. Schreiben lernt man, indem man es tut. Dabei ist ein Schreibritual hilfreich. Rituale nehmen uns die Entscheidung ab, etwas zu tun. Für den Anfang genügen 15 Minuten pro Tag. Jeden Tag acht Stunden schreiben zu wollen, sei die sicherste Methode, seine Dissertation) nicht zu schreiben, so Joan Bolken in ihrem unterhaltsamen Schreibratgeber Writing Your Dissertation in Fifteen Minutes a Day. Eine Viertelstunde pro Tag ist machbar. Wenn man tut, was man sich vorgenommen hat, verschafft man sich selbst ein Erfolgserlebnis. Auf einmal macht Schreiben Spaß, und so verlängert sich die tägliche Schreibzeit von allein. Zum Schreiben Lernen gehört es, eine Leichtigkeit zu entwickeln. Schreiben hat man dann gelernt, wenn es eine selbstverständliche Tätigkeit geworden ist.

Zwischen dem Minimum von 15 Minuten am Tag und den unerreichbaren acht Stunden liegt ein weites Feld. Was ist ein gutes Maß für jemanden, der regelmäßig schreibt? Die Dauer von 90 Minuten entspricht unserem Biorhythmus, danach brauchen wir eine Pause. Mit einer bis zwei 90-Minuten-Schreibsitzungen pro Tag kommt man schon sehr weit. Cal Newport beschreibt die damit verbundene Arbeitstechnik in seinem Buch Konzentriert arbeiten: Regeln für eine Welt voller Ablenkungen. Wichtig ist die Intensität. Wenn Sie an die Grenze Ihrer Konzentrationsfähigkeit gehen, werden Sie sehen, dass Sie nicht mehr als zwei, allerhöchstens drei solcher Deep Work-Sitzungen am Tag schaffen. Das ist übrigens keine neue Erkenntnis: „Drei Stunden pro Tag werden so viel erbringen, wie ein Mensch schreiben sollte“, sagte der englische Schriftsteller Anthony Trollope 1883.

Handwerk

Wie kann man schreiben lernen? Und was kann man beim Schreiben nicht lernen? Talent und der Kuss der Muse mögen in der Literatur eine Rolle spielen, doch für die allermeisten Texte jedoch genügt das, was man beim Schreiben lernen kann.

Schreiben ist Handwerk, und Schreiben ist Kommunikation, und beide Dinge kann man beim Schreiben lernen. In meinen Schreibworkshops bedeutet sprachliches Handwerk, ein Bewusstsein zu entwickeln für die Wörter, die wir verwenden und die Sätze, die wir mit diesen Wörtern bauen. Was für Folgen hat es, wenn ich Fremdwörter verwende? Welche Verben bringen Dynamik in einen Satz? Warum sind Adjektive oft überflüssig? Schreiben lernen heißt jedoch nicht nur, die richtigen Worte zu wählen, sondern auch, mit diesen Wörtern effizient umzugehen. Das betrifft den Satzbau: Oft sind etwa zwei Hauptsätze besser als eine Nebensatzkonstruktion. Schachtelsätze gilt es ebenso zu vermeiden wie überladene Hauptsätze.

Kommunikation

Schreiben lernen heißt, in eine Kommunikation einzutreten. Diese Kommunikation geht in zwei Richtungen. Zum einen lernen Sie im Schreibtraining, mit sich selbst zu kommunizieren. Dabei geht es darum, dass wir uns Zugang verschaffen zu unserem Unbewussten, das findet die sprachliche Lösung oft leichter als der bewusste Verstand. Zum anderen ist Schreiben eine Kommunikation mit dem Leser. Das konstruktive Feedback der anderen Kursteilnehmer ist in Schreibworkshops eine wichtige Ressource. Das Schreiben Lernen beginnt dabei bereits mit dem lauten Lesen, man wird dabei unmittelbar mit den Problemen des Texts konfrontiert. Beim Besprechen von Texten ist das Prinzip der Achtsamkeit entscheidend: Während die Autorin ihren Text vorliest, beobachten sich die Zuhörer beim Wahrnehmen des Texts selbst. Nach einer Minute des Schweigens berichten sie, was sich während der Lektüre des Texts in ihrem Kopf abgespielt hat. Diese Methode stammt aus Paul Elbows Writing Without Teachers. In der ersten Phase des Feedbacks wird nicht bewerten, sondern nur wahrgenommen. Durch diese Rückmeldungen kann die Autorin in die Köpfe ihrer Leser schlüpfen: Sie erfährt, wie es sich anfühlt, ein Leser ihres Textes zu sein. Dabei nutzen wir alle geistigen Ressourcen, deshalb ist diese Erfahrung für das Schreiben Lernen so gewinnbringend. Wir spüren, wo die Leserin den Faden verliert (und damit die Lust auf den Text), wir erfassen intuitiv, welche Worte die Leserin anregen und welche Sätze ihr Mühe bereiten. Oft muss man erkennen, dass von dem Text, an dem man so lange laboriert hat, nichts in die Köpfe der Leser Eingang findet. Arthur Schopenhauer hat in seinem Essay Über Schriftstellerei und Stil dafür ein einprägsames Bild gefunden. Der Schreiber solle sich daran denken, „daß die Gedanken insofern das Gesetz der Schwere befolgen, als sie den Weg vom Kopfe auf das Papier viel leichter, als den vom Papier zum Kopfe zurücklegen, daher ihnen hiebei mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln geholfen werden muß“.

Wachstum

Viele wissenschaftliche Texte sind kaum lesbar, denn gerade im akademischen Bereich wird dem Aspekt der Kommunikation oft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Schreiben lernen heißt, dafür zu sorgen, dass die Gedanken vom Papier in den fremden Kopf gelangen. Wer das Schreiben als Kommunikation begreift, entwickelt eine andere Haltung dabei, und dafür sind die Rückmeldungen anderer Leser enorm hilfreich. Das gilt nicht nur für den Schreibworkshop: Auch im Alltag des Schreibens tut man gut daran, seine Texte jemandem vorzulesen und so zu erproben.

Wer beim Schreiben jederzeit in den Kopf der Leserin schlüpfen kann, steigert seine Produktivität: Er zerbricht sich nicht den Kopf über Sätze, die im fremden Kopf ohnehin nicht ankommen und kann seine Energie gezielt in Sätze lenken, die ins Schwarze treffen.

Schreiben lernen ist ein Prozess; er besteht in Wachstum und im Entdecken der eigenen Fähigkeiten. Das ist die gute Nachricht: Weil der Lerneffekt des Schreibtrainings nicht vom Falschen zum Richtigen führt, gibt es beim Schreiben Lernen keine Niederlagen.

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