«Man kann mit Worten alles sagen. Wenn man kann.»

Schreibtraining

Beim Schreibtraining geht es um zwei Dinge: Handwerk und Arbeitstechnik. Wer das sprachliche Handwerk beherrscht, kann sagen, was er denkt. Wer eine gute Arbeitstechnik verfolgt, steigert seine Produktivität.

Jeder Mensch kann schreiben lernen, das ist die Prämisse meines Schreibtrainings. Denn jeder Mensch kann sprechen, und jeder Mensch kann sich konzentrieren. Die Frage ist nur, ob wir diese Anlagen nutzen.

Sprachbewusstsein

Wir lernen sprechen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Das gehört zu den Wundern der menschlichen Existenz: In unserer Muttersprache wenden wir Regeln an, die wir nicht formulieren können. Warum heißt es: “Ich bin gegangen”, aber “Ich habe geschrieben” und nicht “Ich bin geschrieben”? Mit diesen Regeln setzen wir uns meist erst dann auseinander, wenn wir eine Fremdsprache lernen.

In der Grammatik unterscheiden wir Wortarten (Substantiv, Verb, Adjektiv) und Satzteile (Subjekt, Prädikat, Objekt), wir lernen die Mechanik der Sprache (z.B. Deklinieren, Konjugieren) und wir erkunden die unendlichen Möglichkeiten des Satzbaus. Doch wozu das Grammatik-Wissen gut ist, lernt man im Deutsch-Unterricht allerdings nicht. Auch in der Lehrer-Ausbildung gibt es in der Regel kein systematisches Schreibtraining.

Schreibhandwerk

Schlechte Grammatik erzeugt schlechte Sätze. (Stephen King)

Grammatik gehört zum Schreibhandwerk, und sie ist besser als ihr Ruf:

Grammatik ist keine Qual, sondern der Stab, an dem man sich hochzieht, um seine Gedanken auf die Füße zu stellen und zum Laufen zu bringen.

Im Schreibtraining lernen Sie keine Regeln auswendig. Es geht vielmehr um das Verständnis von Kräften, mit denen die Sprache auf das Bewusstsein wirkt.
Nehmen wir das Verb als Beispiel. Das Verb dynamisiert den Satz. Der Satz “Der Wind braust durch die Bäume“ lebt von seinem Verb, denn „brausen“ ist ein aktives, bildhaftes Verb. Doch solche Sätze sind in der Alltagssprache eher selten. Meist wird das Verb eher als eine Art Scharnier benutzt, um die Verbindung von zwei Wörtern herzustellen, hier kommen die Hilfsverben zum Einsatz (sein, haben, werden).

  • Ich bin aufgeregt.
  • Ich habe Durst.
  • Ich werde krank.

Hier werden Hilfsverben (sein, haben, werden) als Vollverben benutzt.

Modalverben (müssen, sollen, wollen, dürfen, können, mögen) verändern die psychische Wirkung eines Satzes, meist ohne dass uns das bewusst wird.

  • Ich muss noch bügeln.
  • Ich werde bügeln.
  • Ich bügle.

Nicht nur die Art des Verbs hat Folgen für die Wirkung eines Satzes, sondern auch seine Form: aktiv oder passiv.

  • Frau Meyer eröffnete die Sitzung.
  • Die Sitzung wurde von Frau Meyer eröffnet.

Das Passiv macht die Aussage unpersönlich, sie rückt sie von uns weg. Die Passivform kann daher die Wirkung des Satzes schwächen.

Ein gutes Schreibtraining macht aus solchen Beobachtungen keine starren Regeln. Es sind vielmehr Erkenntnisse, die dabei helfen, besser zu schreiben. Wenn Sie bewusst schreiben, ist jeder Text ein kleines Schreibtraining, denn mit dem Üben dieser Regeln kommt man nie an ein Ende.

Die Angst vor dem weißen Blatt

Konzentration wird in der Schule kaum je systematisch unterrichtet. Sie gilt als Privatsache, die jeder selber lernen muss. Doch genau daran fehlt es: Was die meisten Menschen vom Schreiben abhält, ist weder mangelndes Können und noch die fehlende Zeit, sondern die Hingabe, ein anderes Wort für Konzentration.
Die sprichwörtliche “Angst vor dem weißen Blatt” ist Ausdruck davon, dass der Entschluss fehlt, den man für die Konzentration braucht. Wir prokrastinieren, wie man es neuerdings nennt, und jeder hat dabei seine eigenen Tricks. Die Flucht vor dem leeren Bildschirm kennt viele Formen: Doktoranden flüchten sich in die Fachliteratur, Schüler kauen an ihrem Füllhalter herum, und wer zu Hause schreibt, hat plötzlich das dringende Bedürfnis, die Spülmaschine auszuräumen, die Blumen zu gießen etc.

Im Schreibtraining geht es darum, für das Schreiben ein Ritual zu etablieren. Wenn Sie sich daran gewöhnen, jeden Tag zur gleichen Zeit eine kurze Schreibphase einzuschalten, werden Sie merken, dass das weiße Blatt oder der leere Bildschirm rasch seinen Schrecken verliert. Viele Studenten schreiben mühelos völlig korrekte und verständliche Emails, doch in ihrer Seminararbeit bauen sie Sätze, die sie selbst nicht mehr verstehen. Die Angst vor dem Schreiben spaltet uns von der eigenen Sprache ab. Beim Schreibtraining geht es darum, diese Entfremdung abzubauen.

Schreibritual

Das Schreibtraining ist auch eine Übung im Bei-sich-Sein, denn eine entspannte Konzentration ist nur dann möglich, wenn wir bei uns sind. Die Konzentration, die wir im Schreibtraining anstreben, ist kein krampfhaftes Wollen, sondern ein Ausblenden von Dingen, die nicht zum Schreiben gehören. Wir zwingen uns nicht zum Schreiben, wir erlauben es uns.

Schreibtraining ist Bewusstseins-Training. Das Bewusstsein lässt sich am besten durch Rituale lenken, deshalb gehört die Entwicklung eines Schreibrituals zum Schreibtraining. Ein Ritual signalisiert Ihnen ganz körperlich: Jetzt betrete ich den Raum des Schreibens. Es hilft Ihnen, den Alltag zu verlassen und in den Modus des Schreibens zu wechseln. Dies lässt sich durch verschiedene Methoden erreichen: eine kurze Meditation, eine Tasse Espresso oder auch nur das Spitzen des Bleistifts – all das lässt sich, wenn es regelmäßig geschieht, als Auftakt zum Schreiben einsetzen.

Unser Gehirn arbeitet am effektivsten, wenn die Aufgabe klar ist. Gerade bei anspruchsvollen Schreib-Projekten jedoch ist die Aufgabe oft alles andere als klar. Ein Ritual verschafft durch die äußeren Bedingungen Klarheit, denn es grenzt den Zeitraum ab, den wir fürs Schreiben reservieren, und wir können uns für die Zeitspanne des Schreibens ein klares Ziel vornehmen. Wer das andere Ufer sieht, traut sich, mit vollen Kräften zu schwimmen. Zum Schreibritual gehört daher auch die Zeitbegrenzung. Wie lang die ritualisierte Schreibphase ist, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Wichtig ist es, einen organischen Rhythmus zu finden zwischen Konzentration und Entspannung. Durch Ausprobieren merken Sie schnell, was Ihrer Konstitution entspricht.

Arbeitstechniken

Für die Umsetzung des Schreibrituals gibt es in der Fachliteratur verschiedene Techniken. Nach der Pomodoro-Technik – benannt nach dem tomatenförmigen Küchenwecker, der vom Erfinder als Timer benutzt wurde – folgt auf 25 Minuten Arbeit eine Pause von 5 Minuten; nach vier Pomodori macht man eine längere Pause von 15 bis 20 Minuten. Andere Methoden folgen dem Biorhythmus: Die Leistungsbereitschaft unseres Körpers verläuft in 90-Minuten-Intervallen. Die Deep Work-Methode besteht im Wechsel zwischen 90 Minuten Konzentration und 90 Minuten Pause; auch hier wird die Zeit mit einem Timer bestimmt, denn man sollte beim Arbeiten nicht auf die Uhr schauen müssen. Für kreatives Schreiben wiederum kann es förderlich sein, den Rahmen weiter zu spannen: Der Schriftsteller Guus Kujer beispielsweise reserviert den Vormittag fürs Schreiben: Zwischen 8 und 12 Uhr darf er nichts anderes tun. Er muss nicht schreiben. Wenn ihm nichts einfällt, sitzt er da und wartet. Bis ihm dann plötzlich doch etwas einfällt.

Entscheidend für den Erfolg beim Schreibtraining ist, wie bei jedem anderen Training, die Regelmäßigkeit. Diese wiederum erreichen wir nur dann, wenn wir uns realistische Ziele setzen. Wer sich zu viel vornimmt, macht am Ende gar nichts. Beim Schreiben empfiehlt sich das gleiche Vorgehen wie beim Joggen: Man fängt mit einem kleinen Pensum an, um sich allmählich zu steigern. Writing Your Dissertation in Fifteen Minutes a Day, so der Titel eines Schreibtraining-Ratgebers. Die fünzehn Minuten, von denen der Titel etwas reißerisch spricht, sind allerdings als Minimum gedacht. Und dieses Minimum muss jeden Tag eingehalten werden, das ist der Trick, denn fünfzehn Minuten am Tag schafft jeder. Wichtig ist, dass die fünfzehn Minuten immer zur gleichen Zeit und am gleichen Ort stattfinden. Für dieses Schreibtraining braucht man gar kein Schreibtraining: Jeder kann es für sich selbst ausprobieren. Nach ein oder zwei Wochen entsteht daraus ganz von allein ein Ritual – bis man das Schreiben vermisst, wenn man es doch einmal ausfallen lässt!

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